Sonntag, 12. September 2010

# 17 Französisch-Guayana - Europa in Lateinamerika

Auf der anderen Seite eines der tausenden Flüsse, die aus dem größten Regenwald der Erde in das Meer fließen, waren wir plötzlich wieder in der Europäischen Union (EU), technisch zu mindestens, denn Französisch-Guayana ist offiziell eine Region Frankreichs und leidet bzw. profitiert unter den gleichen Regeln der EU wie alle anderen EU-Länder. Ohne Grenzposten und Vorzeigen des Passes ging es dann hinein in den dichten Regenwald, der über 90% der Landesfläche bedeckt. Unser Füße marschierten immer noch auf lateinamerikanischem Boden, doch Gesetze, Schilder und sogar die ausschließlich weißfarbigen Gendarmen kamen aus Frankreich, ebenso wie auch der Großteil der Supermarktregale mit aus der EU importierten Waren vollgestopft war. Französisch-Guayana gehört zu dem am wenigsten bevölkertsten der drei Guyanas (Guyana, Suriname und Französisch-Guayana) und ist ungefähr so groß wie Österreich; die rund 200 000 Einwohner leben fast alle in der Agglomeration Cayenne, der Hauptstadt direkt am Meer.

Der Austausch an Waren und Dienstleistungen zwischen Brasilien und Guyane sind quasi nicht existent und wenn überhaupt, dann illegal, denn EU-Richtlinien machen es dem Import schwer und verwandeln Produkte oft in kleine Weltreisende, denn bevor es die Ware aus Brasilien in die Supermärkte in das letzte "Kolonialland" des Kontinents schafft, geht´s erst einmal nach Frankreich oder andere EU-Länder, dort verpackt, in Dosen gepresst oder schlicht verarbeitet machen sich die Lebensmittel wieder auf den Heimweg, diesmal aber nach Französisch-Guayana. So künstlich dieses Verfahren ist, so erschien uns auch die Gesellschaft und das gesamte Stadtbild: teure Autos, teure Markenkleidung und überhaupt war alles absurd teuer und die Menschen bezahlten in Euro. Die Bevölkerung des schnellwachsenden Zwergenlandes ist sehr durchmischt und dennoch bilden die Kreolen und Schwarzen die große Mehrheit, gefolgt von etwas mehr als 10% Franzosen, die hier "Metros" genannt werden. Wir haben so gut wie keine Armut gesehen, es scheint als ob alle genügend Geld hätten und auch viel Wert auf Äußeres, sprich Haar, “Gangsterklamotten”, Ketten, ja, im Allgemeinen Materielles legen. Man munkelt, dass es hier schnell und einfach Geld aus Sozialkassen gibt und für diejenigen, die noch mehr Geld brauchen oder wollen, gutbezahlte Arbeit gibt. Hier, weitweg von Europa, liegt auch der Europäische Weltraumbahnhof, der für über ein Viertel des Bruttoinlandsproduktes der Region sorgt und wahrscheinlich einer der Hauptgründe für die noch andauernde Französische Präsenz in Französisch-Guayana ist; denn die Nähe zum Äquator ist optimal für Raketenstarts. Unser Hauptanliegen in dem gemütlichen und tropischen EU-Winzlingsland war jedoch den Reisepass für Benjamin zu organisieren sowie ein Visum für Suriname zu ergattern. Schnell wurde uns klar, dass es wohl kein kurzzeitiger Aufenthalt werden sollte; denn da waren sie wieder, die uns aus Europa bekannten bürokratischen Hürden, mit denen wir schon seit über einem halben Jahr im Prinzip abgeschlossen hatten. Glücklicherweise war uns der einzige Übersetzer der Stadt gut gesonnen und bot Benji gegen ein paar Stunden Hilfe im Büro die kostenlose Übersetzung seines Diebstahlberichtes an, den er wiederum für die Anfrage seines Passes benötigte. Nach einer Nacht in dem toten Universitätsgelände waren wir wieder einmal auf Essenrecyclingstour in der Stadt unterwegs: Pünktlich wie die Maurer standen wir wie vereinbart rund 30 min. nach Ladenschluss vor der Bäckerei und man hatte uns nicht vergessen. Die strahlende Brasilianerin überreichte uns nicht nur eine Tüte voller Köstlichkeiten, sondern fragte uns, wo wir die Nacht verbringen würden! Unsere Herzen hüpften wieder hoch und wie selbstverständlich bat sie uns auf unsere Antwort an, zu Ihr nach Hause zu kommen, wo sie Platz für uns hatte; ihr Mann war anfangs noch ein wenig überrascht wieder zu kommen.
Die ersten zwei Tage verbrachten wir in der Universität doch dann wollten wir für die Zeit in Cayenne, zum ersten mal auf der Reise, Gebrauch von dem genialen Netzwerk von offenen und gastfreundschaftlichen Menschen, die via www.couchsurfing.org ihr zu Hause mit anderen Mitgliedern teilen machen. Die Idee des Teilens ist wunderbar, über 2 Millionen Mitglieder bieten hier Platz zum Schlafen, Zeit zum Austauschen von Kulturen, Traditionen, Sprachen, Ideen und Visionen; es ist, als ob man alte Freunde wieder trifft. Schnell hatten wir auf unsere Anfrage bei Gabriel und Johana eine positive Antwort bekommen und dann wurden wir auch schon von ihnen abgeholt und landeten so in dem wohl grünsten - und tropischsten - Garten den wir je gesehen hatten: Hier gaben sich große wunderschöne Pflanzen und Sträucher mit den Kokosnusspalmen die Hand und es gab sogar einen kleinen Pool! Wir hatten ein kleines Paradies gefunden, wo wir mit offenen Armen empfangen wurden und uns sogleich wie zu Hause fühlten. Die Freunde unserer Gastgeber wurden auch unsere Freunde, wir teilten alles und verbrachten viel Zeit miteinander, es war wie Urlaub vom Urlaub und wir machten uns ans Gestalten und Kreieren unserer neuen Seite. "Forward the (R)evolution" tauften wir die Website, was so viel heißt wie "Beschleunige die (R)evolution" und tatsächlich hatten wir auch schnell einen Webhoster gefunden, der allein Erneuerbare Energien benutzt: Taproot Hosting aus Oregon/USA wollte unser Projekt und unsere Philosophie kostenlos unterstützen und so entstand www.forwardtherevolution.net
Die Tage verstrichen schnell und wir recycelten besonders in zwei Bäckereien am Ende jeden Tages feinste Croissants und anderes Gebäck in Mengen. Obwohl es leider nur wenig lokales Gemüse und Obst in Französisch-Guayana gibt, hatten wir auch auf dem Markt beim Containern Erfolg: Wir fanden jedes mal kiloweise frische und gesunde tropische Früchte, Wurzeln- und Kartoffelsorten, von denen wir bis dato nicht mal Ahnung hatten, dass sie existierten! Es fehlte uns an nichts und wie auch in Europa war das Leitungswasser überall trinkbar. Leider wirklich enttäuschend war, dass es neben ohnehin vollkommen übertriebenem und maßlosem Materialismus und Verschwendertum außer ein wenig Glasrecycling keine Möglichkeiten gab seinen Abfall sachgerecht und nach EU Norm zu entsorgen. Wir erkannten, dass hier mit zweierlei Maß das Regelwerk der EU-Staaten gehandhabt wird, zum doppelten Nachteil für die Umwelt.
Die Energie des größten und ältesten Urwaldes der Erde war sehr besonders: Alles ist hier größer, gewaltiger, bunter und eindrucksvoller; wir waren unserer Mutter Erde nahe und entdeckten auf jedem Ausflug in den Dschungel Neues, was uns beeindruckte. Flora und Fauna, Insekten und Tiere, alles schien wie in einem Märchenland, wie im Film Avatar, nur in echt, denn das Paradies auf Erden ist schon da und wir müssen nur unsere Augen öffnen und es genießen! Als wir so barfuß durch das Dickicht marschierten, umgeben von den gigantischen Blättern, Blüten und Sträuchern und über vierzig Meter sich zur Sonne streckenden Urwaldriesen, fühlten wir uns wie in einem Meer an Vegetation dicht um und über uns herum. Plötzlich hörten wir von der Ferne ein leises Geräusch, es klang wie ein kleines Orchester über den Wipfeln, doch dann kam es näher und wurde lauter und lauter:
Die unzähligen Tropfen des Regens waren auf dem Weg zu uns, wir hörten so zum ersten mal den Regen kommen, ein faszinierendes Naturschauspiel! Vogelspinnen, Riesenameisen, Handteller-große Käfer, schillernde Schmetterlinge, Fußball-große Riesenorangen bzw. in der Fachwelt Pampelmusen genannt, es schien wirklich, als ob hier Lebensenergie im Überfluss vorhanden sei! Im Garten hatten wir Unmengen an Kokosnüssen und zum ersten mal Zeit und Werkzeug, um diese richtig kennenzulernen: Zunächst köpften wir sie mit der Machete, dann tranken wir die frische Kokosmilch und als Belohnung gab es das feine nährhaltige Fruchtfleisch. Seit Beginn der Reise wuschen wir uns selten und wenn quasi immer im Meer, Flüssen oder im süßen Regenwasser, seit einiger Zeit hatten wir auch Seife aufgegeben und zum ersten Mal im Leben gab ich so meinem Körper die Chance seine eigenen wahren Düfte zu entwickeln und siehe da es fing an nach Kokos zu duften und es war ein wahrlicher Genuss sich selbst zu riechen, denn mit Parfums, Deos, Kristallen oder sonstiger Chemie unterbinden wir jeden natürliche Geruch unseres eigenen Körpers; dazu muss gesagt werden das wir nicht stanken, das hängt auch mit unser Vegetarischen Nahrung zusammen.
Eines Tages machten wir uns mit unserem neuen Freund Sebastian aus Kanada auf die Region zu erkunden. Wie immer stellten wir uns an die Straße, unsere Daumen in Richtung Himmel ragend und schnell saßen wir dann auch schon in einem Auto, das uns zu einem herrlichen Wasserfall im Dschungel mitnahm. Nach einer erfrischenden Pause gehörte das einzige Auto, was noch auf dem Parkplatz stand, jemandem, der schon von uns gehört hatte, Französisch-Guayana ist wirklich klein und so kennen sich fast alle hier über drei Ecken. Patricia war begeistert von unserem Projekt und lud uns sogleich zu ihrem Haus inmitten des Urwaldes am Flussufer ein. Es wurde eine spannende Bootsfahrt auf dem Fluss zu ihrem Haus und der Freund von uns, der auf ihr Grundstück aufpasste und uns ohnehin zu sich einladen wollte, staunte nicht schlecht, als wir plötzlich im Stockdunkeln vor seiner Hütte standen. Es wurde unsere erste Nacht in einer Hängematte und das Gefühl so inmitten des ewigen Waldes zu schlafen war beeindruckend: Wir lauschten den tausenden Grillen und Insekten, hin und wieder hörten wir auch Affen oder andere wilde Tiere. Wieder zurück auf der Piste ging es für uns zu der Stadt neben dem Weltraumbahnhof und wir versuchten mal wieder einen Film zu "recyceln". Die Menschen sind einfach zu freundlich, wenn man ihnen richtig und ohne wenn und aber begegnet, aber mit einem Foto mit uns und einem dicken Lachen ließ uns der Kassierer passieren. Meine einzige Hose, die ich schon seit vielen Monaten jeden Tag anhatte, fiel beinahe auseinander und ich wusste, ich brauchte sehr bald eine neue. Aber wie so oft kommt alles von alleine und zum richtigen Zeitpunkt und plötzlich sah ich eine Hose auf dem Boden liegen, tiefblau wie das Meer und sie war sogar sauberer als meine, die ich an hatte, was natürlich nicht gerade verwunderlich war.

Wieder in Cayenne nahmen wir Kontakt mit der lokalen Zeitung auf und gerade, als wir bei der Zeitung unser kostenloses Exemplar abholen wollten, rief das Fernsehen in der Redaktion an. Schon am gleichen Abend erschienen wir in den Nachrichten und das Trampen in und aus Cayenne heraus, was ohnehin schon immer gut funktionierte, wurde zum Kinderspiel. Auf einmal hielten sogar Frauen an, was leider immer noch urselten vorkam und Männer die, sonst nicht in den kühnsten Träumen daran dachten Tramper mitzunehmen. Leider half uns auch die Medienaufmerksamkeit nicht, um an ein kostenloses Visum für Suriname zu gelangen und wir mussten einsehen, dass zwar vieles, ja fast alles, ohne Geld ging, jedoch manches sehr schwierig zu erreichen war und wir so trotz x-fachen Versuchen, Mails, Telefonaten und sogar Hilfe von der rechten Hand des Bürgermeisters der Stadt keine Ausnahmegenehmigung erhalten konnten. So war unsere Bilanz am Ende unseres “Frankreichaufenthaltes” eine Niederlage für das Reisen ohne Geld, aber wir wussten, dass wir das nächste Mal mit dem Präsidenten des Landes, wo es Visagebühren gibt, in Kontakt treten werden und alles ein wenig vorausplanen werden und mit ein wenig Zeit und Geduld hörten wir, dass es sogar möglich sei einen Reisepass für Obdachlose zu bekommen.
Dann ging unser Abenteuer endlich weiter, wir ließen unsere Freunde und die wunderbare Natur zurück, Mexiko wartete immer noch auf uns und schwups waren wir schon wieder 200 km näher gekommen, obendrein lud uns unser junger Fahrer auch noch zu sich nach Hause ein. Auf der Suche nach einem kostenlosen Weg, den Fluss nach Suriname zu überqueren, liefen wir einer Bäckerei über den Weg und wir dachten, das ist Schicksal: “die letzten feinen französischen Croissants, bevor wir Europa verlassen”. Es kam uns vor wie im Film, aber die liebe Frau aus der Bäckerei empfing uns mit einem herzlichen Lächeln und den Worten, was wir gerne haben wollten. Sie hatte uns erkannt und verriet uns später, dass sie nur darauf gewartet hätte uns kennen zu lernen! Wieder auf der Straße, wurden wir sogleich zum Organgensaft eingeladen und später führte uns der liebe Pascal dann sogar noch in der Grenzstadt herum, organisierte uns bei den örtlichen Polizisten eine Überfahrt auf der Autofähre und lud uns zum Essen in den Dschungel ein - es war ein herrlicher Abschied von Französisch-Guayana. Noch auf der Fähre fanden wir eine Mitfahrgelegenheit, die uns direkt bis nach Paramaribo, der Hauptstadt der ehemaligen Niederländischen Kolonie, brachte.

Für mehr Fotos in Französisch Guyana klick hier

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#18 Suriname und Guyana

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