Freitag, 16. Juli 2010

#16 Amapa, der letzte Staat vor Französisch Guyana


Die religiöse Familie lud uns dann zu sich nach Hause ein, so ging es zu acht in einem kleinen Auto zu dem Haus einer anderen Tochter des Geistlichen. Joa hatte 13 Kinder und alle waren gläubig, die Evangelische Glaubensgemeinschaft hat hier mehr Anhänger als die sonst in Brasilien dominierende Katholische Kirche und am Abend machten sich alle chic und schön für die fast tagtägliche Messe. Auf dem Weg zur Kirche ging es vorbei an Holzhütten die allesamt im Wasser standen und mit einem zentralen Steg verbunden waren, überall brannten Glühlampen über den Eingängen der einfachen Häuser die neben einem Fernseher oder auch ner großen Stereoanlage nicht viel Möbel hatten. Hier in der Favela zahlte niemand für die Stromkosten, denn der Strom wurde von den öffentlichen Leitungen angezapft und mit einem abenteuerlichen System auf Kopfhöhe über dem Steg zu den Hütten geführt. Die letzte Hütte war das Haus Gottes, man hörte schon von weitem einen Gläubigen aus Lautsprechern Ferse zitieren und die Atmosphäre war sehr besonders.

Es war eine Kindermesse, duzende junge Gesichter saßen auf den zwei Sofas in dem kleinen Zimmerchen, über ihnen leuchtete eine Glühbirne die neben dem Ventilator der in der Mitte des Raumes nach unten baumelte ein wenig Erfrischung versprach. Auch ein paar Erwachsene befanden sich in dem Haus des Glaubens, aber die meisten warteten draußen wo sie gespannt in das innere schauten. Das erstaunlichste war die elektronische Einrichtung, auf den nur 8 mq² stand ein riesengroßer Lautsprecher der so große und breit war wie 2 mannshohe Kühlschränke, daneben stand der Computer mit Monitor, eine weitere Stereoanlage und das Tonpult von wo aus eine Schnur zum Redner führte der das mit einem Wackelkontakt defekte Mikrophon in der Hand hielt um über Gott und die Welt zu sprechen. Wir wurden freundlich vorgestellt und dann von allen herzlich mit Hand begrüßt, es war eine Ehre für sie hier zwei von so weithergereisten Menschen zu haben.

Die Sprecher schrien mit erhitztem Kopf in das Mikrophon, die Boxen donnerten und immer wieder wurde religiöse Musik aufgelegt während gepredigt wurde, einmal, noch nie hatten wir so was gesehen und durch die lauten Boxen begann man wirklich leicht in Trance zu geraten. Mehr als eineinhalb Stunden wurde aus vollem Halse gepredigt, immer wieder hörten wir Halelujaschreie, dann machtedie Bibel als Kollektereservoir die runde und es gab noch was zu trinken und ein wenig PopCorn. Auch zu Hause schien sich das Leben hauptsächlich um Gott zu drehen, es wurden schöne Jesuslieder gesungen, versucht uns zu missionieren, gefragt ob wir nicht selbst Missionar werden wollen, Bibel gelesen und gebettet. Auch wenn es sehr herzlich und wunderschön mit der Familie waren mussten wir weiter ziehen, ins Zentrum von Macapa, der Hauptstadt des Staates Amapa der der zweitwenigste bevölkerte des Landes ist. Sie wollten uns gerne noch länger bei sich haben, aber wir machten uns am nächsten Tag auf den Weg.
Macapa hatte eine schöne Atmosphäre, ja fast familiär, alles war viel kleiner als die vorherigen Städte die wir kennen gelernt hatte und selbst hier sahen wir überall Drachenbegeisterte, ja sogar Erwachsene die Nachts einfach so da standen und an ihrer Leine zerrten die hunderte Meter weiter an das kleine etwas Plastik geschnürt war.
Unser Dach über dem Kopf fanden wir hier in der Stadt die auf dem Äquator lag und bekannt ist für viel Regen bei der Feuerwehr, am nächsten Tag gingen wir dann direkt zum Französischen Konsul, er war freundlich und hörte uns gespannt zu. Er war der erste Europäer der unsere Geschichte hier auf dem Amerikanischen Kontinent hörte und wir hatten das Gefühl auch der erste der wirklich Verstand was die 14 000km Reise bedeutete. Wir wurden von ihm in sein Hotel zum Französischem Frühstück eingeladen und es schien als ob Benji gar kein weiteres Papier brauchte als die Anzeige aus Recife um nach Frankreich einreisen zu können.
Französisch Guyana war rund 600km entfernt und wir machten uns auf den Weg aus der Stadt zu laufen, völlig verschwitzt nahm uns ein Polizist die letzten Kilometer bis zum ersten Militärkontrollposten den wir in Brasilien sahen mit. Da wir den Posten passieren mussten wollte uns niemand auf der Ladefläche der hier üblichen Pickups mitnehmen, so trennten wir uns und in zwei Autos ging es dann hinein in den Urwald. Wir staunten nicht schlecht als wir statt dichtem Regenwald Brachland, Steppe und immer wieder riesigen Wäldern voller Eucalyptus sahen. Die Monokulturen des schnellwachsenden Eucalyptus werden hier alle fünf Jahre gefällt und fast ausschließlich nach China exportiert. Wir sahen Menschen in
Sicherheitsanzügen mit Plastikkanistern auf dem Rücken Pestizide und andere Chemie auf den Feldern versprühen und erfuhren das hier aus der Region tagtäglich mehr als 100 Wagons voll mit Rohstoffen abtransportiert werden. In der Nacht wurden wir in einem kleinen einsamen Dörfchen abgesetzt und von den Einwohner freundlich aufgenommen. Sie luden uns zum Essen und Schlafen ein und erzählten uns das sie dank dem Programm „Licht für Alle“ vom Präsidenten Lula, nun schon seit über fünf Jahren Strom hatten. Vieles hat sich seitdem verändert, mit der Elektrizität kam auch der Fernseher, Kühlschrank und damit der Konsum. Die Menschen hier sind wie die meisten Armen in Brasilien sehr glücklich mit Lula, oder wie er auch in Brasilien genannt wird „Kind Brasiliens“, er hat es geschafft die Armen mit Licht, Mindestlohn und einem Art Kindergeld für die Familien die ihre Kinder auf die Schule schicken für sich gewinnen können und gleichzeitig die Investoren und Banken mit Rekordgewinnen abgefertigt. Eine kapitalistische Glanzleistung und wie die Brasilianer meinen „einmalig in der Welt“. Selbst hier in dem kleinem Dorf gab es nun auch seit zwei Jahren eine Kirche der Assamblea de Deus Glaubensgemeinschaft, die Holzkirche war die ganze Nacht hell beleuchtet und war die einzige Lichtquelle die die Sicht auf den faszinierenden Sternenhimmel mit Lichtverschmutzung minderte.
Am nächsten Morgen wuschen wir uns im Fluss und lauschten der bis hier hinreichenden Amerikanischenmainstreammusik die über das
Idyll tönten. Auch hier wurden wir wieder schnell mitgenommen und in den kleinen Dörfern die wir auf unsere Etappen passierten waren die Bäckereien wieder sehr spendabel mit uns. Auf den besten Plätzen, hinten auf der Ladefläche ging es dann die letzten 250km auf einem matschigen Erdweg zur Grenze. Es wurde eine unglaubliche Fahrt, die reiche Vegetation an Flora und Fauna waren atemberaubend, Urwaldgeräusche von Grillen, Vögeln, Affen und anderen Tieren versetzten uns in eine Andere Welt, in den wahren Regenwald der an uns vorbeizog. Nach mehr als fünf Stunden Fahrt durch Schlamm und über wackelige Holzbrücken kamen wir in Oyapack an, einem kleinen Grenzort der direkt am Fluss liegt. Wir fragten ein Hotel ob wir auf der Terrasse schlafen könnten und bekamen gleich ein Zimmer angeboten, so schliefen wir seelenruhig die letzte Nacht in Brasilien. Nach St. George auf Französischer Seite waren es nur wenig Kilometer, aber schwimmen ging schlecht und so fragten wir diesmal die „Autofähre“ und wie hätte es auch anders sein können, machte der Chef keine Umstände und ließ uns gerne auf seiner Fähre passieren.


Hier gehts zum nächsten Artikel der Reise:

# 17 Französisch-Guayana - Europa in Lateinamerika


1 Kommentar:

  1. macht wahrlich Freude zu lesen...dank dafür und all die Mühe, die darin steckt...alles Liebe euch M ;)

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