Sonntag, 21. November 2010

#19 Von Georgtown bis zur Grenze von Venezuela

In Georgtown stieß meine Freundin Nieves zu uns, aus unserem Duo wurde ein Trio und die feminine Energie blies einen neuen Wind in unsere Reise, Hygiene, Duschen, Sauberkeit und Komfort hatten plötzlich ein anderes Gewicht bekommen und es war wunderbar dass wir einen so sanften Start in dem Haus von Charlotte hatten die uns ihr gesamtes Appartement samt ihrem Ehebett zur Verfügung stellte! Teilen, geben und nehmen ist Leben! Wir entdeckten die schöne hölzerne Stadt vollkommen frei von Touristen, aber voll von lieben Menschen die uns überall willkommen hießen und bereitwillig Essen und herzhaftes Lachen austeilten. Wir besuchten ein Waisenhaus und genossen es unsere Reise der Menschheit mit den Kindern zu teilen, Fragen zu beantworten und die funkelnden Augen zu sehen die alle sehr froh waren dass wir sie besuchten.
Guayana war vielleicht ,was das öffentliche Straßenbild anbelangt, das dreckigste und verschmutzteste Land welches wir bis dato gesehen hatten. Wir spürten,dass hier wie in so vielen anderen Teilen der Erde kein großes Umweltbewusstsein herrschte, geschweige denn eine offizielle Mülltrennung. Und so erlebten wir, dass organischer wie nicht organischer Müll einfach weggeschmissen wurde. Vorher gab es nur ökologisch abbaubaren Abfall, also Wegwerfprodukte wie: Bananenschalen, Bananenstaudenblätter und vieles andere was in kürzester Zeit wieder zu Erde wurde, jetzt dominieren Plastik-Flaschen, -Besteck, -Teller etc. den Markt. Was sich hier geändert hat war das Material, war das Interesse von Firmen und den Ölproduzenten ihre Produkte zu verkaufen, denn jedes Gramm Plastik, sei es in Form von Tüten, Geschirr, Besteck oder was auch immer bedeutet Profit, bedeutet Einkommen auf Kosten der Mutter Erde und den Millionen Spezien die mit uns diesen Planeten teilen; aber es sind auch wir Menschen selber die leiden, die einen direkt unter der Verschmutzung,welche bei der Förderung des schwarzen Goldes entstehen und die anderen die irgendwo auf dem Weg von der Raffinerie bis zum Konsum, ja bis zum Verrotten des Plastiks in Mitleidenschafft geraten. Umweltverschmutzung bleibt unseren Augen oft verborgen, ist nicht sichtbar und ihr wird kaum Beachtung geschenkt und ist leider noch wenig präsent im Bewusstsein der Menschen. Ein beachtlicher Teil des weltweit hergestellten Plastiks wandert irgendwann durch Flüsse und Abwasserkanäle in die Weltenmeere, mittlerweile haben sich verschieden Plastikströme oder Plastikinseln in den Meeren gebildet und es gibt Bereiche deren Oberfläche beinahe komplett vom Plastik verseucht ist, kein Wunder bei den aber Millionen Tonnen an weggeworfen Plastik welches in unseren Ozeanen vor sich hinrottet und eine große Gefahr für die so artenreiche und uns noch teilweise unerschlossene Welt der Meere darstellt!

Wir machten uns auf den Weg in den Süden Guayanas, hinzu dem von uns so geliebten Urwald voller Leben und Frieden. Es dauerte nicht lange und schon stoppte ein LKW, um uns drei hinten auf der Ladefläche mitzunehmen, da war es wieder dieses herrliches Gefühl von Freiheit des Lebens, im Fluss des Schicksals, beschenkt vom Fahrtwind, der Sonne und den Menschen die uns anlachten, was für ein herrliches Land mit Menschen die die Sprache des Herzen kennen und leben! Nach ein paar Stunden waren wir dann in Linden, dem letzten Ort bevor die Asphaltstrasse aufhörte und wieder wurden wir Zeuge von Bergen von Müll die einfach so vor sich hingammelten bis sie wahrscheinlich irgendwer verbrennen wird. Die Realität ist, dass es in den wenigsten Ländern der Erde wo Kunststoffe von kapitalistischen Unternehmen verkauft werden, eine funktionierende Infrastruktur für deren Entsorgung bzw. besser noch Wiederverwertung oder sogar Wiederbenutzung gibt. Das Problem ist somit viel komplexer und keineswegs den Menschen die meist überhaupt keine Ahnung von der Problematik haben in die Schuhe zu schieben; nur einige Kilometer weiter wurden wir wieder Zeuge wie wir Menschen unsere Umwelt belasten, wir sahen schwarze, graue und toxische Wolken in den Himmel steigen, denn Guayana ist reich an Bauxit, dem Erz aus dem zu 95% Aluminium hergestellt wird. Aluminium ist eines der am Energie aufwendigsten Materialien mit denen wir fast tagtäglich in Berührung kommen, die Produktion von nur zwei Dosen braucht umgerechnet 10 000KW Strom, dies entspricht dem Tagesbedarf einer vierköpfigen deutschen Familie. Doch es ist nicht nur die graue Energie, also die Energiemenge die für Herstellung, Transport, Lagerung, Verkauf und Entsorgung eines Produktes benötigt wird, die die Umwelt belastet, sondern auch die direkte Zerstörung der Flora und Fauna da die Abfallprodukte einfach in die Flüsse oder die Atmosphäre gelangen. Die Menschen die hier wohnen klagten uns ihr Leid über die seit vielen Jahrzehnten andauernde Aluminiumindustrie: Wasser, Luft und Erde seien verschmutzt und führen zu höheren Krebsraten und anderen Krankheiten; und wieder ist es nicht die ahnungslosen Bevölkerung die hierfür Verantwortung trägt, sondern die internationalen Konzerne die überall auf der Welt Rohstoffe zum kleinsten Preis einkaufen und dann später als “veredeltes” Produkt an uns weiter verkaufen. Die Praktiken der Firmen die aktiv an dieser Misere beteiligt sind werden sich nicht ändern wenn wir unser Kaufverhalten nicht überdenken, anfangen weniger zu konsumieren, uns mehr informieren und die Welt als Ganzes betrachten tragen wir ebenso die Verantwortung. Umweltzerstörung ist ein globales Phänomen und nur wenn wir global denken, können wir lokal richtig handeln, unser Einfluss im Positiven wie im Negativen auf unsere Mutter Erde, auf unseren Kosmos, ja auf den Organismus dem wir alle inne sind ist weit größer als wir uns vorstellen können! Es gilt heute mehr als je zuvor zu begreifen dass jede Handlung Folgen hat und wir für diese verantwortlich sind.

Auch wenn die Menschen hier in einfachen Häusern leben, mit dem Nötigsten auskommen und nicht einmal ein funktionierendes Abfallsystem haben, “funktionieren” ihre Herzen besser als in den Teilen der Erde wo es Überfluss an Materiellen gibt. Ein lieber Alter brachte uns nach reichen Konversationen , wir konnten aufgrund seines Akzentes nicht alles verstehen, zu dem Haus seines jüngerem Bruders. Es war schon spät, als ein schwarzer ,gossgewachsener und kräftiger Mann uns herzlich begrüßte. Im Dunkel der Nacht sahen wir nur seine funkelnden Augen und die glänzenden weisen Zähne während er uns anlachte und uns willkommen hieß! Es bedurfte keinerlei Erklärungen wer wir sind, was wir machen oder warum wir hier sind, es war wie selbstverständlich für unsere guayanischen Brüder. Er führte uns in ein Zimmer, der Raum war beinahe leer, in dem schwachen Licht welches durch die Ritzen der dünnen Holzlatten schien war ein Holzbett mit einer Matratze zu erkennen. Es fing an zu nieseln und wir hörten wie die Tropfen des lebendspendenden Wassers auf das Wellblechdach fielen, wir lagen auf dem Bett und zwischen uns und dem Dach gab es außer Luft nichts. Ausgenommen der Außenwand waren die Wände eher wie Raumeinteiler und es gab keine Bettdecke. Auf dem Betonboden standen drei paar Schuhe, darüber hingen an einer Leine einige T-Shirts, zwei Hosen. Auf dem Balken der die Latten zusammenhält standen einige Hygieneartikel - weniger ist doch eben mehr!

Am nächsten Tag brachen wir früh Richtung Brasilien auf von dort Richtung Venezuela. Es dauerte nicht lange und schon wieder saßen wir hinten auf einem Pickup, auf einer Matratze, unsere Füße lagen auf Tüten, die gefüllt mit Fleisch waren, zwischen Bananen und anderen Mitbringseln aus der großen Stadt. Wir hatten Mühe uns bei atemberaubenden Geschwindigkeiten auf dem schlammigen und lehmigen Weg mit tiefen Gräben festzuhalten. Der Vater des jungen Fahrers, ein fleißiger Bauarbeiter der schon seit vielen Jahren in New York arbeitet und hier seine zurückgebliebene Familie unterstützt, musste dann sogar noch für uns Kohle abdrücken; denn wie es so ist wollen die meisten Polizisten in weiten Teilen der Welt nur Geld und da standen sie plötzlich mit Maschinengewehren auf der Straße und setzten eine bittere Mine auf, das Gesichts des Ordnungshüters fing erst erst an sich in ein Lächeln zu verwandeln als ihm ein Schein in die Hand gedrückt wurde, er verabschiedete sich freundlich von uns wünschte uns eine “enjoy your ride”. Nur kurz darauf kamen wir dann abrupt zum Stehen, die Lenkstange des rechten vorderen Reifens hatte sich verabschiedet und wir konnten nicht weiter fahren. Es war die dritte Panne in Guayana und immer die gleiche Reaktion: komplette Ruhe und Gelassenheit, ohne Stress und Murren wurde versucht das Problem zu beheben, diesmal behalfen sie sich aus den Autowracks die neben der Fahrbahn vor sich hingammelten, doch als dann nach einer guten

Weile der erste Pickup vorbeikam und helfen wollte aber auch nichts erreichen konnte sprangen wir bei ihm mit auf und brausten weiter. Der Fahrer gab uns in die Hände seiner Schwester und die versorgte uns in ihrem Restaurant gleich mit Köstlichkeiten. Nach einer traumhaften Nacht im Freien unterm Sternenhimmel wurden wir schon um 3.30 für die Weiterfahrt geweckt, wir ahnten nicht was auf uns zukommen würde, wir setzten uns auf den langen, für Holztransporte ausgelegten LKW, die Ladung waren einige Benzinfässer und ein riesengroßer handgeschweißter Tank aus Metall voll mit Diesel. Mit einen Affenzahn ging es über Stock und Stein, der Weg wurde schmaler, und wir hatten das Gefühl das der Urwald sich sein Territorium wieder einverleiben mochte. Das heftigste waren die Stöße im Rückrad, noch nie ging es so holprig für uns daher. Über uns die Sterne, rechts und links der tiefschwarze Wald, plötzlich lag ein Baum quer auf der Fahrbahn, wir stoppten und unsere zwei Fahrer machten sich mit der Axt an die Arbeit um die Fahrt fortzuführen, nach knapp 4 Stunden hatten sie es geschafft, Frieden für unseren Körper! Es war schon wieder hell und unsere Körper konnten endlich wieder entspannen. Hinter dem Restaurant wo wir sogar ohne Fragen super leckeres Essen bekamen entdeckten wir eine große Grube von 2,5m x 2,5m und rund 3m Tiefe wo aller Müll der hier so anfällt auf seine Ende wartet, nun verstanden wir auch die Frage “ob es ökologischer sei Plastik zu verbrennen oder zu vergraben?” besser. Die Antwort konnten wir immer noch nicht geben - beides scheint so vollkommen falsch. Der liebe Kellner wollte uns garnicht mehr loslassen, er meinte das nächste Dorf sei 50km weit entfernt, aber wir vertrauten ihm nicht ganz und gingen einfach los, dem Schicksal entgegen und wie immer wurden wir mit offenen Armen empfangen, diesmal von jemandem, der nach kurzem Erklären unserer Reise ein Böötle klar machte und wir so über den großen Fluss geschifft wurden. Schon länger hatten wir nicht mehr die Möglichkeit unsere Kleidung und Körper im Süßwasser zu waschen und so eröffneten wir kurzerhand ein FKK-Wäsche-Strand an dem Fluss der einige Meter über seinem Flussbett stand. Herrlich und so erfrischend, doch leider war selbst hier entfernt von der Zivilisation der Rausch nach Gold und Reichtum nicht zu stoppen. Wir hörten laute und große Maschinen, zwei große Mienen sind hier im Bau und viele kleine Goldjäger benutzten es schon, das so schädlich und zerstörerische Quecksilber was hier illegal bei der Goldwäsche in die Flüsse und Grundwasser gelangt; die Nachfrage bestimmt den Markt: Goldfüllungen, Eheringe und anderer Schmuck heizen den Preis an und lassen das Devisenherz höher schlagen als das Mitgefühl und Verständnis für die Umwelt.

Auch mitten im Urwald hört die Gastfreundschaft der offenen und witzigen Guayaner nicht auf, wir werden in dem aus europäischen Geldern unterstützten Nationalparks wie Könige behandelt und hatten dann das “Glück” bei 100db monotoner Musik in einem der indigenen Holzhäusern zu schlafen, aber man gewöhnt sich an alles und so wurde es schlicht eine unvergessliche Nacht. Der “Visitor-Service” des Parks nahm uns in einem Allrad betriebenen Geländewagen mit und wir wurden Zeugen der schlammigsten Straßenabschnitte unser Reise, zum ersten mal verstanden wir überhaupt wofür Allradfahrzeuge (4x4) eigentlich taugen können und dass es ohne sie in vielen Teile der Erde einfach nicht weiter geht. Nach einigen Stunden Warten an einer schier unmöglich passierbaren Stelle, an der ein LKW stecken geblieben war, machten wir einen fliegenden Wechsel und saßen kurzer Hand in dem Pickup eines brasilianischen Minenarbeiters der auf seinem fetten Revolver welcher zwischen Hose und Arsch klemmte saß; er war auf dem Weg zu seiner Familie und seine offizielle Ladung war eine Waschmaschine, wir spekulierten jedoch das es sich um Goldschmuggel handelte. Plötzlich hörte der dichte Regenwald auf, es war das Ende des uns so ans Herz gewachsenen Amazonas der uns tausende Kilometer begleitet hatte.


Nun erblickten wir eine wunderbare flache Landschaft mit Regenbogen, Regenwolken, Sonne und unglaublich schönen Weiten. Unser Fahrer meisterte alle noch so unpassierbaren Abschnitte der rudimentärsten Straße und setzte uns an der Grenze zu Brasilien ab. Seine “Waschmaschine” wollte er dann doch alleine “rüber bringen”. Unsere Herzen waren erfüllt von so viel Menschlichkeit die wir hier in dem wenig bereisten Land Lateinamerikas erlebt hatten. Guayana eine Perle der Karibik und definitiv eine Reise Wert!

Da es aufgrund von Territoriumstreitigkeiten zwischen Venezuela und Guayana keinen offiziellen Grenzübergang gibt, mussten wir über Boa Vista, Brasilien nach Venezuela einreisen, es war ein kurzer und kulinarisch köstlicher Besuch, denn wir hatten Glück und wurden zum Restessen von einem Traumbuffet eingeladen! Die letzten 150km bis zur Grenze verliefen sehr träge wir spürten wieder dieses allgemeine Misstrauen und tiefe Angst welches in der brasilianischen Gesellschaft lebt. Nach stundenlangem warten auf ein Auto wurden wir tatsächlich gefragt: “Seit ihr wirklich keine Mörder?”, doch wir konnten den Fahrer überzeugen dass wir gute Menschen sind und so ging es schnurstraks nach Venezuela!

Für mehr Fotos über die Zeit in Guyana klick hier

Hier gehts zum nächsten Artikel der Reise:

#20 Venezuela - Patria, Socialismo o Muerte!


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