Montag, 3. Januar 2011

#20 Venezuela - Patria, Socialismo o Muerte!

Die Sonne schien uns ins Gesicht und wollte uns wohl sagen, “Herzlich Willkommen” hier auf Mutter Erde, in einem weiterem spannenden Land unseres traumhaften Planeten! Per pedes ging es das Stück zwischen den Grenzen in Richtung Venezuela, ein Schulbus der von einem Ausflug zurück kam lud uns ein auf das letzte Stück bis zum Grenzgebäude , das Angebot nahmen wir gerne an und staunten nicht schlecht über die Lebensenergie der frohen und ausgelassen singenden Jugendlichen im Inneren des Busses! Pässe vorzeigen ... Fehlanzeige, wir mussten fragen wo es zum Stempel ergattern geht und in dem kleinen Zimmerchen angelangt entdeckten wir die Landkarte Venezuelas, ein großes Land und noch größer mit der Hälfte des Nachbarlandes Guayanas welche von der República Bolivariana beansprucht wird, doch wir waren nicht gekommen Streit zu suchen, im Gegenteil und so mussten wir ein wenig schmunzeln und als wir uns wieder zum offiziellen Stempler umdrehten waren unsere Pässe auch schon fertig - das ging fix, ohne jeden Papierkrieg, ökologisch und unbürokratisch! Da lachte uns auch schon das grinsende Gesicht des Staatsoberhauptes Hugo Chavez mit der Faust in der Luft an, da war er der wohl berühmt, berüchtigste, geliebt und zugleich gehasste Präsident Lateinamerikas. Der Ex-Militär war präsent wie niemand anderes in den Köpfen der Venezulaner und seine Landsleute sollten die politisch interessiertesten unser Reise werden! Wir hatten Hunger und waren froh endlich in dem uns so vertrauten Spanisch über die Reise plaudern zu können, denn manchmal hatten wir das Gefühl dass wir nicht überall für voll genommen worden waren, oder wir uns schlichtweg nicht hundertprozentig verständigen konnten; wir hatten tatsächlich den Eindruck, dass wir anstatt von der Reise per Anhalter aus Den Haag auch hätten erzählen können dass wir von Tibet bis hierher zu Furss gelaufen sind - die Reaktionen waren meistens nichtsaussagend und ohne Verständnis. In der erstbesten Bäckerei bekamen wir sogleich aufgewärmte Brötchen angeboten und eine kleine Rede gegen das komplett unrationelle und nicht faire Systems, “diesen Kommunismus wollen wir hier nicht” welcher hier “mit harter Hand geführt wird”.
Alte Autos, Abgaswolken und freundliche Menschen, das waren unsere ersten Eindrücke und dann hielt auch schon ein neuer Pickup für uns an. Hier war es völlig normal Leute auf der Ladefläche zu transportieren und so wurden wir nach hinten gewiesen und hatten so die VIP Sitze für die wunderschöne Gran Sabana, laut den Venezulaner hat die Gegend die ältesten Formation der Erde. Freundlicherweise wurden wir als es zu schütten anfing nach innen eingeladen und wie wir es schon ahnten waren die zwei aus der Oberschicht komplett gegen den “Diktator” undhörten gar nicht mehr auf sich über ihn und seine Politik zu echauffieren. Obdach fanden wir in einem Restaurant der indigenen Yanomami, die seitdem Chavez, der erste nicht weiße Präsident des Landes, an der Macht ist, endlich Rechte bekommen haben, ihre eigene Sprache lehren dürfen und weitreichende Autonomie über große Teile des Landes zugesprochen bekommen haben. Wir erwachen in einem der größten Nationalparks des Landes, hunderte Wasserfälle, unglaubliche Weiten und keine Rechte für Weiße sich hier niederzulassen, zu wirtschaften oder Grund zu erkaufen! Wir entfliehen den unausstehlichen “Puri-Puris”, kleinen Stechbiestern die uns nicht mal in Ruhe unsere Körper im Fluss waschen lassen, wir sind auf dem Weg nach Mexiko und auch wenn es noch viele tausend Kilometer sind fühlen wir uns mit jedem Schritt näher; alle paar duzend Meter hielten hier am Straßrenrad wohl Autos an, denn wir entdecken haufenweise Bierdosen der Marke Polar die das karge Grass rechts und links neben der Straße “versilberten”. Die Sonne brannte auf unsere weiße Haut und irgendwann, nach vielen Kilometern hörten wir wieder dieses wohltuende bremsen eines Autos, die roten Rücklichter leuchteten auf und wir rannten. Ein Auto nach dem Anderen hielt an um uns in Richtung Küste zu bringen, vorbei an überfüllten Tankstellen mit bis zu 50 Autos die in Schlange standen um sich mit dem spottbilligen Benzin einzudecken; denn in Venezuela liegen die größten und am billigsten förderbaren Erdölvorkommen Amerikas, das schwarze Gold ist der Motor der Wirtschaft füllt die Staatskasse aus der El Commandante Sozialprogramme seines Landes bezahlt. Für weniger als einen Euro ist der Tank eines jeden noch so fetten und dicken Pickups voll, hier kostet das Wasser in Flaschen mehr als der Sprit! Mittlerweile gibt es auch kaum noch private Tankstellen, auch wenn viele noch die Farben und Logos der am bestverdienensten Kapitalgesellschaften der Welt tragen, seit El Presidente diese verstaatlichte ist Vater Staat Eigentümer. Vom TÜV und sonstigen Abgasnormen hat hier glaube ich noch niemand gehört, und auch sonst ist Venezuela noch weit entfernt von einem ökologisch bewussten Land, denn das schwarze Gold ist Treibstoff der unzähligen Dieselgeneratoren, die den legalen und illegalen Mienenarbeiter auf Suche nach den Rohstoffen der Erde behilflich sind. Schwere Maschinen, Traktoren, Bagger, Presslufthammer, Krankenhäuser, Hotels, Supermärkte und ein großer Teil der privaten Häuser, alle benutzen das so schädliche und versiegende Öl der Erde. Das Stromnetz in Venezuela ist alt und ein Großteil des hier hergestellten Stromes kommt aus Dieselkraftwerken. So exportiert Venezuela viel von seinem billig produzierten Strom, auf Kosten der Umwelt, in seine Nachbarländer. Nichtsdestotrotz über 70% der Energie wird durch erneuerebare Energien gewonnen.

An meinen Geburtstag hatten wir das Glück, dass wir von einer lieben Familie in ihr Hotel eingeladen wurden, die Freundlichkeit der Venezulaner kannte keine Grenzen, alle waren uns lieb gesonnen und machten das Reisen ohne Geld wieder einmal zur echten Traumreise der Menschheit. Denn nur dank unseren Brüdern und Schwestern die uns täglich helfen, anlächeln, zuwinken, gut zureden, Essen und Dächer mit uns teilen, uns mitnehmen, fragen, zuhören und uns umarmen, ist dieses Abenteuer überhaupt möglich!


Man tut sich schwer etwas Positives in den Europäischen Medien über die bolivianische Revolution, wie sie hier genannt wird, zu finden, das gleiche gilt für Bolivien oder Kuba, es ist kein Zufall, denn Europa und Nordamerika dominieren mit ihrem kapitalistischem System die ganze Welt und haben einen großen Einfluss auf die Medien. Wer hat noch nicht gehört oder gelesen dass es in Venezuela keine Pressefreiheit gibt? Tatsache ist, dass wir kein anderes Land kennen wo die Zeitungen, Fernsehkanäle und Radiostationen durch die Bank weg so negativ über die Regierung berichten. Es bleibt nicht etwa beim schlichten Kritisieren, nein, in Wahrheit ist es eine Kampagne gegen alles was die, nun schon mehrmals wiedergewählte, Regierung unternimmt. So vergeht kein Tag ohne übelste Beschimpfung, Lüge oder gnadenlose Übertreibung und das seit Jahren! In Europa wird auch fast nur Negatives über dieses, so unglaublich gespaltene, Land berichtet und die Kommentare des Präsidenten wie: "Wenn das Klima eine Bank wäre, wäre es längst gerettet worden", gelangen nur selten in die Schlagzeilen. Es wäre Propaganda für einen Systemwechsel wenn die guten Initiativen, Ideen, Regeln, Gesetze oder was auch immer vom “Feindessystem” in die Köpfe der Kapitalisten gelänge. Auch wenn Herr Chavez sicherlich kein Vegetarier ist, mit der seit jeher dominierenden Ölindustrie überhaupt kein Ökologisches Vorbild ist, die Straßengräben des Landes voll von Müll sind und die Luft, Flüsse und Meere von Treibhausgasen verdreckt sind, ist der Umweltschutz ein wichtiges Thema für ihn. So werden Autos kostenlos mit Gastanks ausgestattet, für das erste Jahr muss auch nichts für das Betanken gezahlt werden, außerdem ist Venezuela das erste Land der Welt welches die Grundschleppnetzfischerei komplett verboten hat. In allen Meeren der Erde verenden Dank dieser lukrativen und grausamen Methode tagtäglich Millionen von Tieren als unbrauchbarer Beifang , obendrein sind die Schleppnetze jeden Tag für die Zerstörung des Meeresboden von der Fläche Londons verantwortlich.

Wo heutzutage in Frankreich und vielen anderen Ländern der Welt diskutiert wird das Renteneintrittsalter auf 67, 68 oder sogar 70 Jahre zu erhöhen, wird im Land des Kommunismus des 21. Jahrhunderts darüber gesprochen den Beginn des Rentenlebens auf von 55 Jahren für Frauen auf 50 zu reduzieren! Doch es wird sich nicht nur um das Wohl der ältesten des Landes gekümmert, 8 Arbeitsstunden sind das offizielle Maximum pro Tag, desweiteren gibt es einen geregelten und respektierten Minimumlohn von knapp 300$ nach offiziellem Wechselkurs und hier beginnt es kompliziert, bürokratisch und speziell zu werden, denn neben dem vom Staat diktierten Wechselkurs existiert ein Weiterer,illegaler. Devisen können hier nicht einfach so gewechselt werden. Um den eigenen internen Markt stabil zu halten, kontrolliert die Regierung den Devisenhandel und sorgt somit für einen seit Jahren blühenden Schwarzmarkt auf dem teils mehr als das Doppelte für Dollar oder Euro bezahlt werden. Die Schwierigkeit liegt im System der Weltwirtschaft, denn im Gegensatz zu Kuba wo es ebenso einen offiziellen und einen inoffiziellen Kurs für das Geld gibt, hat Venezuela tausende Kilometer Grenze zu anderen Ländern und ist seit vielen Jahrzehnten, um nicht zu sagen Jahrhunderten, dominiert von neokapitalistischer Politik. Es ist nicht leicht gegen so viel Gegenwind anzulaufen. Der Kapitalmarkt kennt keine Grenzen, keine Skrupel und Ethik und so scheint es uns manchmal eher ein fast kläglicher Versuch seitens Chavez und seiner Politik gegen den schier unüberwindbaren Kapitalismus auf globaler sowie die Geldgier auf lokaler Ebene anzukämpfen wenn nicht der große Teil der Gesellschaft einverstanden ist den Kurs zu ändern! Ein vergeblicher Versuch das verkorkstes Kartenhaus zu verbessern, aber vielleicht müssen wir alle die alten Karten austauschen und mit Neuen spielen, oder besser gesagt garnicht mehr spielen sondern lieben und teilen wie in einer Familie mit ethischen Grundwerten, einem festen Fundament aus Vertrauen gleichen Interessen für alle.

In keinem anderem Land wurden wir von so vielen Menschen bereitwillig mitgenommen, hörten soviel widersprüchliche Meinungen, Antworten und Anliegen, das Schönste war, dass fast jeder mit dem wir sprachen etwas zu sagen hatte, Bescheid wusste, sich interessierte und bereit war mit uns zu diskutieren und Feuer und Flamme zu sein! Wir besuchten traumhafte Karibikstrände mit türkisblauem Wasser, wurden zum Schlafen nach Hause eingeladen, verbrachten die anderen Nächte vor der Feuerwehr, auf Parkplätzen, in Krankenhäusern, Polizeistationen, Einkaufszentren, Zivilschutz und konnten den unendlichen Warnungen über die Gefährlichkeit des Landes nicht oft genug entgegensetzen dass wir einen guten Stern über uns haben und in der Brust Liebe und Vertrauen für die Menschheit tragen. Zum zweiten mal während der Reise hatte ich das untrügliche Bauchgefühl, dass irgendetwas Wichtiges fehlte, es war die Kamera, doch sie kam aus dem Versteck in welchem ihr Finder sie “aufheben” wollte zurück. Ich umarmte unseren Engel und fragte den Mann, der nach dem er wusste von wem die Kamera sei, sie wieder rausrückte, nach seinem Namen: “Raffael” - was für ein Schicksal!

Wir waren auf dem Weg nach Colonia Tovar, einem vor über 150 Jahren gegründeten deutschen Dorf welches in Fachkreisen auch das “Deutschland der Karibik” genannt wird, die 358 Einwanderer kamen ursprünglich aus Endingen am Kaiserstuhl und schafften mit den mitgebrachten Samen, Fleiß und ihrer Kultur eine kleine süddeutsche Oase inmitten des sonst ganz anders tickenden Lateinamerikas. Auf über 2200m trafen sie ein optimales Klima für den Anbau von Erdbeeren, Pfirsichen, Bananen, Pinienbäumen und vieles andere an. Erst mit dem Bau einer asphaltierten Straße vor 40 Jahren begann sich vieles zu ändern. Man(n) fing an sich zu mischen, Spanisch zu lernen, Alemannisch zu vergessen und sich dem Tourismus zu öffnen, denn die Reichen aus Caracas lieben und schätzen das saubere, gepflegte und sehr sichere Idyll welches ein wenig wie die Kopie eines Alpenbergdörfchen wirkt. Leider ist es wirklich touristisch und alles sieht nur “echt” aus, aber Fachwerkbau heißt nicht mal eben ein paar schwarze Balken auf den Beton zu malen - Disneyland mit Originalhäusern dazwischen könnte man auch sagen, aber wirklich sehr originell und im Topzustand! Die Menschen sind super freundlich und die Großeltern sprechen ein Deutsch welches mir leider unverständlich blieb.

Am nächsten Tag ging es für uns nach Caracas, eine der gefährlichsten Städte der Welt, die Statistik spricht für sich, denn in Venezuela kursieren 15 Millionen illegale Waffen und im Jahr 2009 wurden knapp 20 000 Menschen ermordet, das sind 75 pro 100 000 Einwohner und mehr als doppelt so viele wie in Kolumbien oder fast 10 mal mehr als in Mexiko! Nacho hieß unser Engel des Tages, er fuhr uns direkt vor die Haustür meiner lieben Gastmutter aus der Zivildienstzeit in Mexiko, viele Jahre haben wir uns nicht gesehen gehabt und nun hat uns das Schicksal wieder zusammen geführt. Für mehr als eine Woche lebten wir unter ihrem Dach und genossen es ein wenig Ferien zu machen und an unserer Website und den Artikeln zu arbeiten. Auch wenn es nicht wie in Brasilien von obdachlosen Menschen wimmelte, waren die Kontraste zwischen den Reichen und Armen deutlich zu spüren, wir residierten in einem, wie alle anderen Wohnhäuser dieser Gegend auch, von einem Wächter beschützen Privatgefängnis mit Ausgangsgenehmigung. Drei bis sechs Meter hohe Mauern mit elektrischen Stacheldraht, Videokameras sowie zwei Stahltüren pro Eingang bilden den Kern der Sicherheit, als wir mal versuchten Kontakt zu den Hausnachbarn aufzunehmen öffneten nur die wenigsten und die, die sich trauten uns die erste Stahltür zu öffnen hielten guten Sicherheitsabstand hinter der zweiten Stahlbarrentür, aber irgendwann hatten wir dann doch Glück und beide Türen öffneten sich und eine Frau mit einem Riesenhund sah uns komisch an und fragte: “Was wollt ihr?” Noch nie hat jemand hier in dem Haus einen Überfall oder sonstiges erlebt, aber die tiefe Angst steckt in den Knochen und Seelen der Menschen und am sichersten fühlt man sich eben doch in seinen vier vertrauten Wänden mit allem was man eben so braucht.
Auch außerhalb dieses Areals herrscht Ausnahmezustand, alles was auch nur irgendwie geklaut und zu Geld gemacht werden kann ist mit dicken Stahlschlössern gesichert. So tragen Stromkasten, Mülleimer etc. fette Stahlbarren zur Sicherheit, das auch bloß kein Kabel geklaut werden kann. Fast jedes Geschäft hat einen oder meist sogar mehrere Wachleute die mit Pumpguns, schusssicheren Westen die paranoiden Kunden vom Parkplatz an das Gefühl der Sicherheit vermitteln und auch im Innern für Eindruck sorgen. Caracas ist keine Schönheit, der Kommunismus ist präsent mit glorreichen Sprüchen, Fotos, Wandmalereien und positiven und anregenden Nachrichten fürs Volk, das Stadtbild grau in grau und im mäßig bis schäbigen Zustand. Die Menschen bewegen sich flott über die engen Bürgersteige, haben teils Angst in die Augen zu schauen und sobald es dunkel wird leeren sich die Straßen und anstatt Schaufenster sieht man nur noch tote, öde und oft verdreckte Straßenabschnitte mit herunter gelassenen Stahlrollos oder noch besser komplette Stahlschutzfasaden! Wir hatten die Ehre in der kostenlosen Zeitung der Regierung Ciudad CCS das beste und tiefgehenste Interview der Reise zu bekommen, denn leider sind nicht alle Journalisten interessiert, fragen nach und nehmen uns ernst.

Nach schönen Tagen der Entspannung erlebten wir noch unser rotes Wunder in einem von einer losen Künstlerbande besetzten und vom Staat tolerierten Gebäude, sie nannten sich selbst Revolutionäre und Unterstützer Chavez sowie seiner Politik, aber außer Wortfloskeln war da nicht viel, alle tranken Coca-Cola, konsumierten Plastik wo es nur ging und anstatt aus dem Herzen zu teilen wurde es für uns die erste Nacht der Reise wo wir für die Genehmigung auf dem Boden schlafen zu können verhandeln mussten. Am Ende waren sie so “großzügig” und ließen und in der Turnhalle schlafen im Gegenzug mussten wir den gesamten Stierarenaboden vom Müll befreien. Wer hätte das gedacht, die Prediger des Systems, die Alternative Community der Stadt mit am wenigsten Sinn fürs Harmonie, Gastfreundschaft, Offenheit und Akzeptanz für uns. Froh wieder weiter zu trampen machten wir uns wieder auf, gen Mexiko, gen Norden und verließen hinten auf einem Abschleppwagen die Stadt.
Da düsten wir auch schon unter den seit Chavez kostenlosen Mautstelle für Zivilfahrzeuge hindurch, oben wie immer ein roter Banner: “Patria Socialismo o Muerte” und sein keckes Lachen daneben. Schnell bewegten wir uns in Richtung Küste, dort wo großteils die schwarze Bevölkerung des 30 Millionen Einwohner Landes lebt. Wir genossen beispielose Strände, Küsten und wie es in einer Reise der Freiheit sein sollte saßen wir vollkommen unerwartet in einem Fischerboot mit der Destination Chorni, wir passierten einmalige Buchten, Küstenlandschaften und hatten dieses so warme Gefühl dem Meer nahe zu sein wie schon seit langem nicht mehr! Choroni ist wunderschoen, aber wohl der touristischste Ort bis dato für uns in Lateinamerika, denn wir waren seit unser Ankunft vor nun schon rund 4 Monaten in Brasilien ständig auf dem “less traveled” Weg, dem Pfad den nur wenige bereisen und so nie in Kontakt mit Touristen aus unseren Breitengraden gekommen, doch natürlich genossen wir es auch für einen Moment mit Rucksackreisenden in Kontakt zu kommen und uns auszutauschen.

Einheimischen Studenten teilten dann noch ein paar wichtige Informationen über ihr Land mit uns, so kostet das Studieren hier den symbolischen Preis von 1 Bolivar Fuerte (0,20€). Öffentlicher Verkehr ist quasi genauso umsonst und für erfolgreiche oder aus ärmeren Familienverhältnissen stammenden Studenten gibt es obendrein ein Stipendium. Seit die Sozialpartei vor über 10 Jahren die meisten Stimmen im Parlament hat wurden in allen 24 Regionen des Landes Universitäten gegründet und hunderte neue Krankenhäuser, auch in kleineren Gemeinden, helfen kostenlos und unbürokratisch. Fidel Castro tauscht mit Hugo Chavez Öl gegen kubanische Mediziner, Wirtschaftsweise und Ingenieure, die Beziehung zwischen den beiden Ländern blüht so gut wie noch nie. Millionen Venezulaner, auch in den noch so abgelegensten Orten genießen Dank des, von den Chinesen ins All geförderten, Satelliten Simon Bolivar schnurlose Festnetznummern zum Spottpreis, so ist es überall ganz normal jemanden mit einem Telefon in der einen Hand und der anderen den Hörer am Kopf haltend auf der Straße telefonieren zu sehen. Doch es bleibt nicht nur bei langweiligen Gesprächen, nein Chavez hat auch dafür gesorgt, dass das Volk in so genannten “Informationszentren” überall all auf dem Land kostenlosen und nicht zensierten Internetzugang hat. Aber der wohl wichtigste Beitrag zum alltäglichem Leben der Millionen Venezulaner sind die 17 Lebensmittel die zum so genannten Grundnahrungsbedarf gehören und stark subventioniert sind und nur einen Bruchteil vom realen Marktwert kosten, doch die reichen des Landes halten das ganze für eine “Marketingidee”, - genauso wenig glaubten sie dass die Satellitentelefone wirklich funktionieren.

Wir hatten mal wieder Lust den leider auch hier präsenten “Malls” einen Besuch abzustatten, zu schauen was in den großen Konsumtempeln nicht konsumiert und recycelt werden kann. In dem Restaurantbereich wurden wir fündig, wie überall fanden wir auch unendliche Mengen an Resten, aber es schmerzte zehntausende Menschen zu sehen die alle von Einweggeschirr aßen und dieses später, samt den noch genießbaren Essen, in die Tonnen wandern ließen. Wir fragten den Kinoverantwortlichen nach der Möglichkeit einen “Filmsaal” zu recyceln und wie fast immer bekamen wir ein freudiges Lächeln und ein klares “con gusto” zu hören! Als niemand mehr im Kinosaal war begannen wir nach Essbaren zu suchen, doch es war zu viel, wir konnten garnicht alles tragen, ungeöffnete Flaschen, Kekse, unangetastete Popkorn, Tortillas etc., einfach absurd! Die Restaurantbesitzer teilten auch bereitwillig ihr noch komplett genießbares Essen mit uns, das Retten der Nahrung ist wohl leider nur eine Ausnahme, denn schon bald waren uns die Sicherheitbeamten des Tempels auf den Versen und sorgten dafür dass wir das Weite suchen.

Schon in der Nähe Kolumbiens trafen wir auf die, in beiden Ländern beheimateten, indigenen Wayúu die auf der Guajira-Halbinsel wohnen, sie luden uns freundlich auf die schon volle Ladefläche ein und freuten sich über unsere Anwesenheit an “Bord”. Man erklärte uns dass in ihrer Kultur die Frauen gekauft werden, der Bruder der Braut steckt die Kohle ein. Polygamie ist hier überhaupt kein Problem, sie zeigt, dass der Mann wohlhabend ist. Frauen haben leider nicht viel zu sagen und meist wird der Brautpreis in Vieh bezahlt. Ein Junge der in der Mitte der Ladefläche auf einem Sack saß teilte brüderlich zwei dicke Flaschen Whisky in immer dem gleichen kleinen Plastikbecher der seine Runden machte aus und einem noch kleineren Jungen, von gerade mal 12 Jahren, wurde ein Revolver anvertraut. Dieser sollte unseren Augen unsichtbar bleiben , doch wir entdeckten ihn. Unter den Wayúu herrschen eigene Regeln, Selbstjustiz ist an der Tagesordnung und man erklärte uns dass die Polizei hier auf beiden Seiten der Grenze nur störe, denn die meisten betreiben hier, ohne einen Hehl daraus zu machen Schmuggel und zwar vornehmlich Benzin, Menschen, Alkohol, all die subventionierten Lebensmittel und vieles was hier deutlich billiger ist sowie eine Substanz die zur Kokainherstellung gebraucht wird. Man stellte sich uns hier auch ganz ungeniert als “comerciante” vor, also Händler und wir hatten das Gefühl dass es wie an allen Grenzen der Welt sehr korrupt zugeht und in Wirklichkeit nur der Schwarzmarkt angekurbelt wird.

Irgendwo in dem Niemandsland zwischen Kolumbien und Venezuela wurden wir von der Polizei angehalten und mussten in ein kleines Häusle gehen, Pässe vorzeigen und umgerechnet 5€ pro Nase an Ausreisesteuer abdrücken. Wir erklärten unser Projekt, waren freundlich und bekamen nach kurzem Debakel zwischen den Beamten unsere Pässe zurück wir mussten nichts zahlen. Herzlich freuten sich jetzt auch die Polizisten uns einen “Ride” zu organisieren und schwups saßen wir schon wieder hinten auf einem kleinen Laster mit anderen lieben Venezulanern. In knapp vier Wochen, über 3000km, haben wir Höhen und Tiefen dieses beeindruckenden bolivianischen Venezuelas kennen gelernt, Menschen mit viel Herz, Feuer und Flamme für Politik, Kultur und ihr Land entdeckt und verstanden dass keine Revolution in der Welt mehr von oben herab gewonnen werden kann, sondern dass es die Menschen braucht, Graswurzelbewegungen und eine klare Bottom-up Struktur um wirklich tiefgreifende Veränderung herbeizuführen! Danke Venezuela für diese wunderbare Zeit und all die Gastfreundschaft.

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1 Kommentar:

  1. Super Artikel! vielen Dank! Ich glaube nur es heisst "bolivarische" Venezuela, den das Wort stammt von Simon Bolivar (und nicht von bolivia)... LG

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