Sonntag, 6. Februar 2011

#24 Nicaragua



Die Sonne schien und der Wind bließ. Wir wollten unbedingt auf die magische Insel Ometepe in dem größten Süßwassersee Zentralamerikas und es schien nichts leichter als das. Der Verantwortliche der Fähre ließ uns mit Freude kostenlos passieren und schon auf der Fähre organisierten wir uns die nächste Mitfahrgelegenheit in einen der vielen Orte die am Ufer der Insel lagen. Die Stimmung war beeindruckend, die zwei Vulkane auf der Insel einzigartig und wieder einmal bewunderten wir den schönen Sternenhimmel von der Ladefläche des Pickups. Als wir in einem Hostal nach einer Schlafmöglichkeit fragten, wurden wir direkt von John, dem Boss der Gaststätte, zu sich nach Hause eingeladen. Wir waren glücklich. Gleich neben seinem Grundstück war ein Waisenhaus, wo wir dank seiner Kontakte sofort mit dem Verantwortlichen sprechen konnten.
Der Verantwortliche wiederum ermöglichte uns, mit sechs

Klassen hintereinander, über Umweltbewusstsein und unsere Reise zu sprechen. Die Kinder hörten alle sehr gespannt zu und wir hatten große Freude mit ihnen. Im Punkte ökologisches Bewusstsein haben die Schüler noch viel zu lernen haben, trotzdem spürten wir ihr Interesse und Begeisterung für das Thema. Viele Insulaner ezählten uns wie gefährlich und unsicher es auf dem Festland sei. Einige meiden die “grausame” Realität die nach der Fähre kommt lieber komplett und bleiben einfach auf der Insel. Wir konnten die Angst vor Gewalt und Kriminalität zwar nicht ganz teilen, aber uns war klar, dass wenn man auf einer solch wunderbaren Inseln aufwächst, wo es sehr friedlich und gemeinschaftlich zugeht, keine große Lust auf das brutale Leben “da draußen” hat.
Geführt vom Schicksal trafen wir auf das urige Hostal “Indio Viejo”. Hier wohnte nicht nur ein alter Mann der sich Indio Viejo nennt, sondern eine handvoll Menschen unterschiedlichen Alters die sich selber LNU nennen. Die Vegane Kommune sucht wie wir die Harmonie mit der Mutter Erde und es war das erste Mal auf der Reise, dass wir eine Menschengruppe fanden, die vor Wissen über die Natur, Pflanzen, Kräuter, alternativer Medizin usw. nur so strotze! Wie ein Schwamm sogen wir die Informationen auf und waren tief beeindruckt von der Art und Weise wie sie lebten, wie sie miteinander umgingen und es schafften

wirklich keinen Müll mehr zu produzieren, ja nicht mal viel Kompost viel an, denn die LNUs nutzten wirklich alles was uns die Natur bietet; so werden Fruchtschalen zur Suppe, die feine Zwiebelfolie zum Öko-Pflaster, die ausgepresste Zitrone zum Deodorant und heimische Pflanzen zu feinstem Essen zubereitet! Auch die LNUs freuten sich über unsere Begegnung und hätten uns am liebsten garnicht mehr ziehen lassen, denn sie warten nur darauf endlich Naturfreunde zu finden mit denen sie sich ein Grundstück am Vulkan mit eigenem Wasserfall kaufen können, um sich in Ihren Worten “frei zu kaufen”, denn ihr Plan ist so asketisch und naturverbunden wie nur irgendmöglich zu leben, d.h. ohne Strom, Internet und selbstverständlich mit eigens angebauten Essen. So gerne wir noch länger bei der Kommune geblieben wären rief uns Mexiko und die Klimakonferenz und so zogen wir mit erfüllten und inspirierten Herzen weiter wissend, dass wir noch sehr viel lernen müssen und mit der Natur im Einklang leben zu können. Auf der anderen Seite waren wir voller Vorfreude auf die Zeit, in der wir einmal sesshafter sein werden, mehr lesen können und in der Natur arbeiten können.


Doch die Zeit der LNU war für uns noch nicht vorbei, denn in Granada, einer schönen Kolonialstadt am Ufer des Sees, wartete noch eine Perle des naturverbundenden Lebens auf uns. Versteckt in einem, laut der Meinung der Einheimischen, gefährlicheren Bezirk der Stadt, standen wir plötzlich vor einer großen

Bamboowand mit einer kleinen Tür. Wir klopften und als bald öffnete uns eine alte, schlanke, lächelnde Frau mit langem weißgrauem Haar die Pforte. Kiso ist Französin und seit nun über 30 Jahren LNU, also ein alter Hase von der in der ganzen Welt verstreuten Hippiekommune und ein Beispiel für das “andere” Leben! Ihre auf Stelzen stehende runde Hütte ist komplett aus Holz, Bamboo, Stroh und anderen lokalen Materialien erbaut, völlig frei von Nägeln, Fenstern, Türen oder Schlössern. Unter dem runden Schlafbereich, wo rund 10-15 Personen nächtigen können, ist die “Wohnstube”. Es gab keine Wände, keinen Ein- und Ausgang, nur ein knappes duzend Baumstämme hielten die Konstruktion und so war man umgeben von Pflanzen, Blumen, Gemüse und Fruchtbäumen die sie hegt und pflegt. Als sich die Tür hinter uns schloss, hatten wir den Eindruck in eine andere Welt einzutauchen. Hier gab es praktisch kaum etwas aus Plastik. Alles war sehr natürlich und mit viel Liebe hergerichtet und sehr ordentlich. Natürlich wurde alles genutzt was hier an organischen Abfall anfiel.

Die weise und agile Kiso erzählte uns auf dem Boden sitzend, denn auch Tische und Stühle schienen keine Wichtigkeit in ihrem Leben zu
haben, von der Kultur der LNU und all den Besonderheiten, die diese Kommune vereinen. So hörten wir, dass jedes Kinder bei den LNU, im Idealfall, jeweils 12 Mamis und Papis hat, also Menschen die sich um das Kind kümmern, als ob es ihr eigenes wäre. Der Sinn dahinter ist, von Anfang an kein Eigentumsanspruchsdenken zuentwickeln. Erwachsene Beziehungen sollen unter dem gleichen Motto funktionieren (vollkommen offen und frei, denn): Je mehr Menschen einen lieben und je mehr man selbst liebt, um so besser! Alles in der kleinen Enklave schien seinen Platz zu haben. Es sah gepflegt aus und zusätzlich war alles nach den kosmischen Energien, die überall in Kreisformen auf die Erde gelangen, geplant. Ihre Annahmen ist, dass dort wo sich die Energiekreise überschneiden alles besser wächst und gedeiht. Stundenlang lauschten wir, der im schlichten Leinengewand,
gekleideten Frau und waren fasziniert von der Ganzheitlichkeit und der Vorstellung wie eine LNU Kommune funktioniert. In diesem Zuge wurde uns auch gesagt, dass das nicht alles einfach nur ausgedacht ist, sondern die urälteste Tradition und Kultur der Erde ist. Damals, als noch alle Kontinente miteinander verbunden waren, haben anscheinend alle Menschen so gelebt.
Wieder zurück im Jahre 2010 auf der Straße hielt ein freundlicher Polizist nach seiner Arbeit an und während der Fahrt erklärte er uns, dass es trotz aller Kriminalität in Nicaragua sehr viel besser als in anderen Latinoländern aussieht.


Seiner Meinung nach, sind die Nicaraguar noch sehr miteinander verbunden und passen gegenseitig auf sich und ihr Hab und Gut auf!
Alle Schauergeschichten die man uns in Costa Rica über Nicaragua erzählte, unzivilisierten Menschen, die mit Macheten aufeinander losgehen und überhaupt nicht sehr freundlich sind, bewahrheiteten sich nicht. Im Gegenteil, die Menschen schienen uns so wohlgesonnen wie in Costa Rica, nur ein wenig
menschlicher, humaner und bescheidener. Leider mussten wir wieder einmal feststellen, dass sogar im

21. Jahrhundert, viele Köpfe immer noch voller negativer Vorurteile gegenüber Mitmenschen sind, sie sich und den anderen deswegen das Leben schwer machen, Angst haben und oft vereinsamen. Im Gegenteil dazu war unser lieber Fahrer glücklich uns zu sich nach Hause zum schlafen einzuladen. Hier wurden wir bekocht und mit typischen Getränken der Region verwöhnt. Richtig spannend wurde es, als seine Frau loslegte und uns von der absolut ungerechten Situation in der “Free Zone”, also der Steuerfreienzone, erzählte. Hier, nicht weit entfernt von der Hauptstadt des Landes, dachte sich irgendein schlauer Politiker, vor einigen Jahrzehnten, man könne doch Firmen aus der ganzen Welt anziehen in dem man eine von den Steuern des Landes befreite Industriezone errichtet. Gesagt getan und so kamen die Firmen und mit ihnen Heerscharen von Arbeitern die oft für weniger als 27€ sechs oder auch sieben Tage die Woche im Akkord arbeiteten! Die meisten der über 50 000 unausgebildeten und dem System hilflos ausgelieferten Nicaraguan, kommen jeden Tag von nah und fern, um bei irgendeinem

Jeanshersteller an der Nähmaschine zu sitzen. Noch schlimmer ist es die Jeans zu bleichen, in riesigen Trommeln mit Bimssteinen und verschieden laugen oder Enzymen. Bei brüllender Hitze, in den stickigen Fabrikanlagen tragen nur wenige die obligatorischen Masken, weil bei diesen Temperaturen das Tragen einer Maske einfach unerträglich ist. Jedes Jahr sterben hier Menschen an den Folgen fahrlässigen Arbeitens und vorallem Bedingungen, genaue Zahlen gibt es leider nicht, aber alleine in ihrer Fabrik die nicht mehr als 1000 Beschäftigte hat geht sie von 1-3 Arbeitern pro Jahr aus: Sie durchstechen sich ihre Hände oder Finger, denn nur wer schnell ist bekommt einen Bonus von gerade mal 30€ pro Monat, erleiden Krankheiten wie Krebs und . Unsere Erzählerin arbeitet selbst, als Personalmanagerin, in einer Jeansfabrik und weiß somit genauestens über die Bedingungen ihrer Arbeiterinnen bescheid. Auf einem großen Schild vor den Fabriken steht in großen Lettern "Nur die besten Arbeiter", was das bedeutet wusste auch sie nicht, denn die meisten Arbeiterinnen sind alleinerziehende Mütter, die vor lauter Arbeit,

An- und Abreise von bis zu 4 Stunden pro Tag, keine Zeit mehr für ihre Kinder haben. Ihre Textilfirma arbeitet mit den Branchenprimus wie Wrangler, Pirellis oder Levi’s zusammen. Besser bezahlt werden dadurch die flinken Hände nicht, nur der Ladenpreis von bis zu 150€ für eine Markenjeans ändert sich, wenn ein Logo auf der Jeans klebt. Die Billigjeansabnehmer zahlen wie Levi’s & co nicht einmal 2€ pro Jeans an die Fabrik für die Herstellung und es gibt keine einzige Jeans die nicht direkt per Container in die USA geliefert wird, um wiederum von dort zurück nach Zentralamerika geschickt zu werden um auch hier für meistens mehr als 50€ über die Theke wandert. Nicht nur die Arbeiter werden hier gnadenlos ausgenutzt und durch sie viel Profit erzeugt, nein auch die Natur leidet unter der Herstellung einer jeder Jeans. Es werden bis zu 12 000 Wasser für die Herstellung pro Jeanshose benötigt, das so genannte virtuelle Wasser. Hinzu kommt, dass die Fabriken zwar Wasserfilter haben, diese jedoch nicht gut genug sind und die giftigen Abwasser einfach in den nahgelegenen See, Wasserquelle für hundertausende Menschen, geleitet wird. Auf dem Weg nach Ocotal, dem letzten Ort vor der Grenze zu Honduras, passierten wir Straßen wo
rechts und links Überschwemmungen große Schäden angerichtet haben. Die Einheimischen meinten, dass es so viel wie in diesem Jahr noch nie geregnet hat. Wir waren erstaunt darüber, wie wahnsinnig gut es hier funktionierte zu trampen. Manchmal stiegen wir aus einem Auto aus und schon hielt der nächste Fahrer für uns an - ein Traum. Wer kann da noch sagen, dass Trampen nicht die schönste Art und Wiese ist sich fortzubewegen. Für uns ging es wieder einmal direkt zur Feuerwehr, die uns gerne Unterkunft anbot. Wir entdeckten Helme aus Mallorca, Feuerwehrautos aus Japan und Deutschland und erfuhren, dass hier alle freiwillig und ohne Lohn arbeiten, denn für diese Arbeit gibt es in Nicaragua anscheinend kein Geld. Wir spazierten ein wenig durch die Wohngebiete der Gegend und schnell kam eine Traube von wunderbaren Kindern auf uns zu,

die mit uns sprechen und spielen wollte. Sie kamen aus einfachsten Verhältnissen und waren so glücklich und friedlich! Hier wohnen alle Menschen dicht an dicht. Die Mülltonne war unübersehbar, ein schlichtes großes Loch in der Erde zwischen den bescheidenen Lehmhütten.
Auf dem Weg zur Grenze passierten wir fleißige Kaffeearbeiter, die ihren rohen Kaffeebohnen in der Sonne zum trocknen ausbreiteten, uns freundlich grüßten und uns von ihren Ernte anboten. Auch hier spiegelt sich die Ungerechtigkeit der Welt wieder. Von dem Kaffeepreis den man in den Industrieländern zahlt gelangen gerade mal 5% an die Bauern!


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