Sonntag, 12. September 2010

#18 Suriname und Guyana

Wir konnten unseren Ohren nicht glauben, aber wir hörten tatsächlich die gleichen frischen und frechen Laute, die wir vor unserer Reise in Holland so gewöhnt waren; alles war auf Holländisch, nur wenige konnten Englisch und ich konnte endlich wieder meine Sprachkenntnisse aus den Niederlanden einsetzen. Die Architektur des seit 1975 unabhängigen Landes bestand aus vielen Holzbauten und das Leben ging ruhig und friedlich vor sich, obwohl der neue Präsident Desiré Bouterse, der nicht gerade einen guten Ruf hat, am Tag unser Ankunft in der größten Stadt Surinams vereidigt wurde. Bouterse war aktiv an dem Militärregime in den Neunzigern beteiligt, steht im Zusammenhang mit vielen Morden und wurde sogar von den Niederlanden in seiner Abwesenheit zu elf Jahren Haft wegen Kokainhandels verurteilt; durch den internationalen Haftbefehl war es ihm quasi unmöglich das Land zu verlassen, heute als Präsident genießt er wie viele korrupte und kriminelle Diplomaten nach internationalen Völkerrecht Immunität.
Die Beziehungen zu dem ehemaligen Kolonialland Holland sind nicht erst seit seiner Wahl ins Präsidentenamt angespannt und wir spürten, dass auch viele Menschen nicht positiv und freundlich gegenüber den weißen Holländern eingestellt waren. Die zwei größten Ethnien bilden die Hindustanen und die ehemaligen schwarzafrikanischen Sklaven sowie die Maroons, Nachkommen der 1863 in den Urwald geflüchteten Sklaven Desweiteren gibt es viele Minoritäten, zu denen auch die wie schon in Französisch-Guyana in den Geschäften und Restaurants stark repräsentierten Chinesen gehören; Europäer hingegen haben wir kaum angetroffen. Die Einheimischen erzählten uns, dass das Trampen hier sehr schwierig bzw. unmöglich sei, aber sie waren nicht die ersten, die uns das Vertrauen in die Menschen ausreden wollten. Und tatsächlich war es wie überall an den mehr als zweihundert Stellen, wo wir seit nunmehr sieben Monaten mit einem breiten Lächeln am Straßenrand standen und unsere Freude des Seins und der Menschheit mit den oft verängstigt an uns vorbeifahrenden Autofahrern teilten. Wir hatten, wie es viele nennen würden, "Glück", im Inneren wussten wir, dass es nur menschlich war, was passierte, und so gelangten wir in Windeseile mit über 160 km/h nach Nieuw Nickerie, der letzten Stadt Surinams bevor es nach Guyana ging. Es war ein wunderbarer Ort, noch gemütlicher als die Hauptstadt, Kanäle, die uns an Holland erinnerten und überhaupt eine Ordnung, die uns zum Lachen brachte; denn es war unverkennbar, dass wir wirklich im "Little Holland" Lateinamerikas waren. Statt kleinen kahlgeschnittenen Bäumen ragten hohe Palmen in den Himmel und die Menschen waren offener und freundlicher als in der Hauptstadt. Ein köstlicher Reis mit Pindasaus wurde unser Abendmahl und auf dem Boden neben einer Apotheke, die hier wie viele Geschäfte auch einen Nachtschutzmann hatte, fanden wir unsere Nachtruhe.
Am nächsten Morgen machten wir uns auf, die Gegend ein wenig zu erkunden und stellten fest, dass hier durch den Einfluss der Hindus der Vegetarier viel besser verstanden wird und so führte uns unser Weg zu einer großen Reisfabrik, wo wir auch ohne zu fragen vom Manager, der auch Hindu war, zu feinsten vegetarischen Köstlichkeiten eingeluden wurden, die er anlässlich eines Festes selber gezaubert hatte. Wir wussten aus den Zeiten, als wir noch Geld benutzten, dass Reis nicht teuer war, aber mit nur 300€ pro Tonne hatten wir nicht gerechnet. Außerdem wurden wir wieder einmal von der globalisierten Welt überrascht, denn die Plastiktüten, in die der Reis getütet wird, stammen aus den Niederlanden und wandern oft auch wieder zurück nach Europa, nur halt gefüllt mit Reis. Desweiteren fanden wir heraus, mit was für chemischen und hochgiftigen Substanzen der Reis in Berührung kommt, bevor er in den Topf kommt und was für Schäden diese in der Umwelt hinterließen. Wir sahen tonnenweise Chemie, die mit "sehr toxisch" beschriftet war und für den Anbau "gebraucht" wird. Das erklärten uns zu mindest die Menschen, die diese hauptsächlich aus China importierten Chemiebomben verkauften. Wir wurden mit unseren eigenen Augen Zeugen, wie Plastik- und Metallreste, ja im Prinzip alles, was an Müll in der Fabrik anfällt, einfach am Flussufer verbrannt oder direkt hineingeworfen wird und so die Weltenmeere, die inoffiziell sowieso schon seit langem zur internationalen illegalen Mülldeponie geworden sind, weiter verschmutzt. All das geschieht tagtäglich, jede Sekunde überall auf der Welt und das Ökosystem unserer Mutter Erde, welches keine Grenzen kennt, leidet unter unserem rücksichtslosen Verhalten, mit jedem Kauf eines Produkts oder einer Dienstleistung tragen die Konsumenten, die oft ahnungslosen Käufer, Verantwortung für die Zerstörung unseres Planeten. Es ist schwer, in der globalisierten Welt den Überblick zu behalten, wie wir mit unserem Konsumverhalten die Erde beeinflussen, aber wenn wir unseren Konsum reduzieren, regional und saisonal einkaufen und uns für Bio- und Fairtradeprodukte entscheiden, minimieren wir schon ein großes Stück den unbewussten negativen Einfluss auf unsere Natur und schlussendlich für unser eigenes Wohl und unsere Gesundheit sowie das Wohl unser Mitmenschen. Den Garten, die Terrasse, ja sogar die eigenen vier Wände zum Anbau von Obst, Gemüse, Salaten und Kräutern zu benutzen ist natürlich das allerbeste; denn lokaler, freier von Chemie und dazu kostenlos geht´s nicht mehr. Die örtliche Polizei war so lieb und organisierte uns ohne unser Fragen am Morgen eine kostenlose Mitfahrt zu der 40 km weit entfernten Fähre, außerdem riefen sie den Chef der Fähre an und so konnten wir ein weiteres mal kostenlos eines der mittlerweile unzähligen Boote besteigen, die uns nach Guyana bringen sollte.

Guyana - unbekannte Perle

Es war, als ob uns die Fähre auf eine der Karibischen Inseln gebracht hätte, als wir in Guyana, dem seit 1966 unabhängigen englischsprachigen Land mit über 750 000 Einwohnern landeten. Der Grenzpolizist fragte mich, was mein Beruf sei und ich antwortete "Mensch", daraufhin lachte er herzlich und als wir dann noch sagten, wir reisen ohne Geld, knallte er den Stempel auf unseren Pass und winkte uns freudig weiter. Die Bevölkerung war vornehmlich indischen und afrikanischen Ursprungs, Weiße bekamen wir, bis wir in der Hauptstadt anlangten, überhaupt nicht zu Gesicht.
Wir waren begeistert von der Lebensenergie und Vielfalt, die uns aus allen Ecken und Gesichtern anlachte, hier gaben sich Kirchtürme, Moscheen und Hindutempel “die Klinke in die Hand” und auch die Gesellschaft erschien uns im Gegenteil zu Suriname sehr heterogen, aber friedlich im Umgang miteinander. Trampen sollte auch hier nicht möglich sein und doch fanden wir eine liebe Seele nach der anderen, die uns in Richtung Georgetown mitnahm. Es war herrlich, die Temperatur angenehm tropisch und mit frischem Fahrtwind brausten wir vorbei an den unzähligen Häusern, die die relativ gut asphaltierte Straße bis zur Hauptstadt säumten. Doch da standen nicht nur die bunten Häuser, die praktisch alle aus Holz waren, sondern Menschen, Brüder und Schwestern, die uns anlachten und zuwinkten! In Pickups und Autos ging es im Zickzackkurs um die Kühe, Kälber, Pferde und anderes freiherumlaufende Getier, das sich wohl auf der einzigen Straße weit und breit am wohlsten fühlte. So legten wir einen Kilometer nach dem anderen zurück, bis wir uns plötzlich auf der Ladefläche eines langen und unbeladenen Holztransport-Lkws wiederfanden. Es war nicht das erste mal für uns auf einem für europäische Verhältnisse gefährlichen Vehikel, aber es wurde das erste mal, dass etwas passierte: Plötzlich gab es ein lautes Geräusch und wir wurden leicht in die Luft geschleudert, der LKW kam zum Stehen und rund 150 m entfernt sahen wir etwas Schwarzes Langes auf der Straße liegen. Das nächste Auto brachte uns auch schon die Gelenkwelle, die sich gelöst hatte. Mit Ruhe und Gelassenheit machten sich die Fahrer ans Reparieren und wir uns ans Weitertrampen.Nach einer spannenden Nacht in Melanie, wo wir von einem einheimischen Rastafari zum Schlafen eingeladen wurden, setzten wir unseren Weg fort und hatten schon am Morgen den zweiten Unfall unserer Reise: Diesmal ging es für uns hinten auf der Ladefläche eines kleinen LKW direkt in den mit Wasser gefüllten Graben neben der Fahrbahn. Zum Glück ging auch hier alles glimpflich aus und der Schock war größer als der Schaden, der nur materiell war. Froh und gesund gelangten wir in der historischen Altstadt an und genossen die sonntägliche Ruhe, passierten wunderschöne Holzbauten und die grünen Straßen, genossen die frische Luft in der nur spärlich besuchten größten Holzkirche der Welt. Sie war katholisch und die Katholiken sind mit nur 7% eine Minderheit der über 57% Christen, die in unzähligen Religionsgemeinschaften ihr zu Hause gefunden haben. Nur einen Block weiter hörten wir aus einer großen Fabrikhalle das durch starke Boxen in die Ohren dringende “Gepredige” einer dieser meist protestantischen Gemeinden, die ihren Mitgliedern mit Haleluja- schreien und "ooohhh jesus" und "ohhh Lord" den Himmel auf Erden machten. Charlotte aus Australien, die hier gerade in einer unglaublich gut organisierten Freiwilligenorganisation (www.vso.org.uk) arbeitet und auch eine Couchsurferin ist, empfing uns mit offenen Armen und freute sich uns kennen zu lernen.

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#19 Von Georgtown bis zur Grenze von Venezuela

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